Entstammen Tango und Breakdance nicht zwei völlig verschiedenen Welten? Wird am Ende bloß eine aufgeblasene bunte Show für ein nimmersattes Eventpublikum abgezogen? Das habe ich mich gefragt, als ich erstmals vor einem „Break the Tango“ Plakat stand. Und tatsächlich, am Beginn der Show stehen sich die Paare aus Buenos Aires und die Breakdance-Solisten eher feindselig gegenüber. Sie provozieren sich. Sie sind bereit Regeln zu brechen. Brach, seinerzeit nicht auch der Tango mit allen Regeln des Gesellschaftstanzes? Wurden seine Protagonisten nicht auch des Öfteren in den Gerichtssaal vorgeladen? So wie es Jahrzehnte später auch der Hip-Hop Szene wiederfuhr. Beide wuchsen aus ihren jeweiligen sozialen Ghettos heraus, fanden Verbreitung und gehören heute zum weltumspannenden Kulturellen Erbe der Menschheit. Logisch, dass sich in Folge auch auf der Bühne alle Grenzen auflösen. Hier die körperliche Erotik, dort die massive Körperwucht. Alles, aber auch wirklich alles, beginnt sich da auf der Bühne in hitziger Atmosphäre zu entladen um schließlich in gemeinsamen Tanzexplosionen es laut und trotzig in die Welt zu trommeln: „Wir passen zusammen!“
„Es geht um Musik, um die Bewegung zur Musik. Breakdance ist zeitgenössisch. Es spielt keine Rolle. Tanz ist eine universelle Sprache,“ erklärt der Choreograf „Buz“ Meier.
Um es vorwezunehmen: Break the Tango ist eine rasante und fabelhafte Show mit dem Potenzial Kultstatus zu erlangen. Sie wird Erwartungen in vielerlei Hinsicht gerecht. Musikalisch tadlelos arrangiert, Tänzerische Professionalität und sie schafft es, mit den doch sehr verschiedenen Genres leichtfüßig zu spielen, sie zu erneuern und trotzdem ihre jeweiligen Wurzeln und Seelen zu bewahren. Ausgerechnet die Schweiz steht am Anfang dieser einzigartigen Verbindung. 2014 trafen dort der ehemalige Tango Weltmeister German Cornejo aus Argentinien, Björn Meier , der seit 30 Jahren die Schweizer Breakdance Szene prägt und Produzent Darko Soolfrank aufeinander. Letzter hatte gerade erst eine alte Zahnradfabrik in Zürich in einen neuen Hot-Spot der Stadt verwandelt. Herausgekommen ist nach einem Jahr hochkreativer und harter Arbeit etwas, das nur für Menschen mit richtig viel Pfeffer in den Beinen beherrschbar zu sein scheint. Verfeinert wurde schließlich noch zwei Wochen lang im „La Catedral“ – der fast schon heiligen Tango-Stätte in Buenos Aires.
2017 performen im Wiener Museumsquartier sechs Tango-Paare, fünf „Bboys“ und eine Liveband samt Sängerin, vor einem schlichten Bühnenbild. Mit den beiden ehemaligen Tanzweltmeistern German Cornejo , der auch für die Choreografien mitverantwortlich zeichnet und Gisela Galeassi sind die Leadtänzer fantastisch besetzt. Bboy und Dance Captain Henry Monsanto gibt einen gnadenlosen Einpeitscher fürs Publikum.
Das Publikum ist recht heterogenen. Man darf getrost davon ausgehen, dass jene, die die eine oder die andere der beiden Tanzkulturen selber pflegen in der Minderheit sind. Aber das Show-Konzept funktioniert von der ersten Sekunde an. Auch deshalb, weil die hocherotische Spannung, Tango tanzender Paare, nicht im schrillen Radau der Bboys verloren geht. Tanz der zwischen den schönen Latinos und den bösen Jungs hin und her wogt. Da, eine sinnliche Tänzerin die vom Partner hochgewirbelt einen Spagat in der Luft elegant andeutet. Dort, der Breakdancer der mit einem Salto und radikaler Beinschere antwortet. Das Ganze zu „Tristezas de Arrabal“ im Arrangement des Electrotango-Quartetts „Otros Aires“ . Im Original kommt es vergleichsweise sanft daher. Hier, auf der Bühne entfaltet es epische und vor allen Dingen ungezügelte Breite. Langsam wird offensichtlich, wie nahe sich diese beiden so verschiedenen Tanzwelten, in dieser Show noch kommen werden. German Cornejo und „Buz“ Meier sind Perfektionisten. Sie verehren die selbstverliebten Posen. Es führt der Wettkampf Regie. Sie erwarten genüsslich den Beifall – und sie sind sich dessen völlig sicher, ihn auch zu bekommen. Maßgeblichen Anteil hat Gisela Lepio , deren Stimme Souverän das Geschehen auf der Bühne zu tragen vermag und eine Band, der es gelingt einen glasklaren, schnörkellosen Soundteppich unter die tanzenden Beine zu legen. Die Stärke der Show liegt ganz sicher auch darin, dass hier jeder einzelne Mitwirkende auf der Bühne gleichrangig zur Geltung kommt. Der erste Akt des Abends ist ein wildes Furioso auf der Suche nach sich selbst. Das liegt vielleicht auch daran, weil es den Einzelkämpfern der Breakdance Abteilung mühelos gelingt eine Show für das Publikum abzuziehen. Weil sie kraftvoller und lauter agieren. Während die Tangueros da oftmals mit der Brechstange dagegen halten müssen.
„Tango ist unsterblich. Das ist das, was wir zeigen wollen.“ Darko Soolfrank, Produzent.
Musikalisch ist da so einiges dabei. Pop, Balladen und Elektrotango, welcher zur Gänze von Otros Aires stammt. Spannend ist das Bandonen. Clemente Carrascal schafft damit den Spagat zwischen Tradition und Pop. E-Gitarre und Schlagwerk sind dem Beat des Hip-Hop geschuldet, der die Tangofraktion manchmal doch ehr heftig vor sich hertreibt. zu sehr. Christina Anguilera, Beyoncé, One Republic, Shakira immer abwechselnd mit den Elektrikern von Otros Aires. Man scheute selbst nicht davor zurück ein Heiligtum, wie „La Cumparsita“, in einer aberwitzigen und kaum mehr überbietbaren Verfremdung als RAP aufzuführen. Gisela Lepio ist eine exzellent aufgestellte Sängerin. Ihr „Nieblas del Riachuelo“, war großartig gesungen, konnte das Publikum auch enorm euphorisieren, war aber – aus Sicht des klassischen Tango Argentino – etwas zu lautstark. Man hätte sie durchaus einen Tango Cancion in einer dunkleren und rauchigeren Art interpretieren lassen können.
Der Zweite Akt ist da stimmiger aufgebaut. Er beginnt erst einmal mit einer Atempause. Zwei angenehme und astreine Tango-Performances nacheinander. Vielleicht die stärksten Momente dieses Abends wenn es um Tango in Reinkultur geht. Zu „ Talk Show Host“ von Radiohead und „Tangwerk“ von Otros Aires darf der Tango so sein, wie wir ihn selber praktizieren. Nur wenig später, dann der spektakulärste Moment der Show. Zum, jedem Tanguero vertrauten und überstrapazierten, „Sin Rumbo“ hängt sich ein Tanzpaar in die Seile und vollführt schwebend über der Bühne eine lässige Choreografie, die immer Tango blieb. Das muss man gesehen haben. Und da können auch die fliegenden Breakdancer nur staunen. Den Anspruch Tango und Breakdance miteinander zu Verbinden gelingt dann zum Ende des Abends simmer besser. Als sich Gisela Leipo zu einer hörenswerten Interpretation von Adeles “Halo” aufschwingt entfalten sich Breakdancer und Tangueros in einem grandiosen miteinander. Welches auch zu „Timber“ nicht schwächer wird. Das ist auch ein Versprechen und Potenzial einer zukünftige Weiterentwicklung der Show. Zu guter Letzt, kam bei Shakira, im Publikum noch eine richtige „Latino-Feierlaune“ auf. Um die Anfangs gestellten Fragen wieder aufzugreifen: Breakdance (Hip-Hop) und Tango Argentino vertragen sich besser als erwartet. Der Beat passt zu einem Tangomelange gar nicht schlecht. Gelernt habe ich, dass tänzerische Präzision der bessere Begleiter jeder Art von Inspiration ist.
Break the Tango, Museumquartier Wien, Halle E. 26.09. – 01.10.2017
Playlist:
1. Adrenalina – Bajofondo/Ricky Martin | Garnd Guignol – Bajofondo | Essa – Otros Aires | Allerdings Otros Aires – Otros Aires | Pretty – The Cranberries | Solo Esta Noche – Otros Aires | Ain’t No Other Man – Christina Aguilera | Lean On – major Lazer | Nieblas Del Riachuelo – Otros Aires | RAP – La Cumparsita | Crazy in Love – Beyoncé Feat. Jay Z
2. Talk Show Host – Radiohead | Tangwerk – Otros Aires | B-Boy Tango – DJ Pablo | Counting Stars – One republic | Sin Rumbo – Otros Aires | Barrio De Amor – Otros Aires | El Mareo – Bajofondo | Turning Tables/Halo – Adele / Beyoncé | Timber – Pitbull Feat. Kesha | Te Aviso, Te Anuncio – Shakira
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