Mit 82 Jahren hatte Harald Fitz seine erste Tango Argentino Unterrichts-Stunde genommen. Heute feiert er seinen 92. Geburtstag und ist er nicht nur der älteste Tango Tänzer in der Wiener Szene, sondern auch einer ihrer Aktivsten . Wer in Wien eine Milonga besucht, dem fällt er auch wegen seiner schlanken, schlaksigen Figur auf und weil er die meisten an Körpergröße überragt. Vielleicht haben sie sich dann gefragt, wer das wohl ist?
„Harry“, wie er in der Szene genannt wird, wurde zum Frühlingbeginn 1926 im Sternzeichen Widder geboren und es gibt nur einen einzigen wie ihn. Nicht nur deshalb, weil er fast jeden Abend auf einer Milonga aufkreuzt, bei der er es sich nicht nehmen lässt, eine Dame nach der anderen aufzufordern, sondern vor allen Dingen deshalb, weil er der einzige Ü 90 Tanguero ist. Wobei ihm selbst das Alter ziemlich egal ist. Genau genommen – und das sagt er selber – ist er kein so „alter“ Tangotänzer, hat er doch erst vor ca. 10 Jahren damit begonnen. Damals war er zwar auch schon 82 Jahre alt, „aber das sei ihm weder aufgefallen und noch hätte es irgendeine Bedeutung.“
Botschafter des Tango Argentino
Meine Frage, ob ich vielleicht eine kleine Geschichte über ihn schreiben dürfe, führt uns umgehend zum Griechen über der Kornhäusl-Milonga, bei der seine Sonntage verbringt. Namen und Orte sprudeln nur so aus ihm heraus. Schnell wird klar, ich sitze einem tagesaktuellen Lexikon was Tanzschulen, Lehrer und Tango-Events in Wien betrifft, gegenüber. Am wichtigsten scheint ihm aber zu sein, dass wir über DEN Tango Argentino sprechen. Denn: „Tango und Tango Argentino, das ist ein Unterschied. Wiener Tanzschul-Tango hatte ich schon 1942, als Gymnasiast in der sechsten Klasse, so wie jeder Wiener Schüler damals, in einer Tanzschule kennen gelernt. Getanzt habe ich ihn dann speziell um 1948 während meiner Studentenzeit an der „Welthandel“. Da bin ich so richtig in das Tanzen eingestiegen. Zu La Cumparsita wurde der europäische Tango getanzt. Einen anderen Tanzstil kannten wir nicht,“ erklärt Harry und bringt damit ein Dilemma um den Tango in Wien – damals, wie heute – auf den Punkt. Alles dreht sich hier um Walzer. Jeder hier hatte Tango in seiner Tanzschule, aber kaum einer, außerhalb der Szene, kennt den Argentinischen Tango.
Am liebsten hat er Pugliese und seine Zeitgenossen und so taucht Harry allabendlich überall dort auf, wo dieser Tango gespielt wird und selbstverständlich bei vielen Milongas quer durch die Szene, aber auch dort wo fleißig geübt wird, wie z.B. bei den Studenten der Tangoklasse an der Technischen Uni oder in der Práctica der Galeria-Ideal. Regelmäßig finden sich Workshops in Wien, Bratislava und Sopron in seinem Terminkalender. Als wäre das noch nicht genug, sahen wir ihn auch schon in Videos des Hip-Hop Duos Trackshittaz und manch anderer, nennen wir sie höflich, Independent Musiker, wo er aber nur den skurrilen alten Typen im Hintergrund abgibt. Ohne ihn auch kein Event mit Dina Larot. Führt man sich seine Umtriebigkeit vor Augen, so könnte einem das unheimliche Gefühl beschleichen, der Mann könnte doch wirklich an zwei Plätzen zugleich gewesen sein.
Als Student hatte er sich ausgerechnet in die Tochter des Tanzschulbesitzers Mühlsiegl verliebt. Sie wurde geheiratet und er damit auch Mitglied alter, traditionsreicher Wiener Tanzschuldynastien. Dennoch startete der Diplom-Kaufmann und Sohn eines Cellisten und Primgeigers der Wiener Volksoper, eine solide Banken-Karriere. Ohne diese, wäre er heute wohl nicht Mitglied der Wiener Tango-Community: „Ich war und bin Mitglied im Erste Bank Tanzclub, der alljährlich einen Ball in Baden bei Wien veranstaltet. 2008 hatte ich dort bei einer Tombola einen Gutschein für vier Stunden Tango Argentino Unterricht gewonnen. So hat das mit dem argentinischen Tango begonnen,“ erfahren wir.
Dem Beginn folgte Jahre später ein Besuch in Buenos Aires. Am Flohmarkt in St. Elmo gab ein älteres Showpaar sein Bestes und er wurde zum mittanzen aufgefordert. „Don’t think about steps. Dance! Diese innigen Umarmungen, wie es sie dort gibt, sind die Damen zu Hause nicht gewöhnt.“ Also orientierte er sein Umarmen, Führen und Spüren neu. 2012 schien das Schicksal den Tänzer Harry in die Knie zwingen zu wollen. Ein Sekundenschlaf hinter dem Lenkrad ließ den 86-Jährigen mit zertrümmerten Fersenbein und Schrauben im Knochen zurück. Harald Fitz war gezwungen im Tango Anfängerkurs einen neuen Beginn zu setzen. Er musste zu einem anderen Stil finden. Die schwungvolle Eleganz in der Drehung ist heute nicht mehr möglich. So mag das Ganze jetzt etwas statisch und minimalistisch in der räumlichen Bewegung wirken, aber das Gefühl für die Musik und die Leidenschaft im Tango ist ihm geblieben. Es verwundert nicht, wenn da so manche Mittzwanzigerin zuerst einmal leicht erschaudert, wenn Harry einen galanten Cabeceo in ihre Richtung andeutet. Am Ende zeigt sich die Damenwelt nuanciert, von begeistert bis freundlich zurückhaltend. Harry hat sich beharrlich eine ihm geneigte Tänzerinnen-Gemeinde aufgebaut. Dass diese wesentlich jünger als er ist, liegt im wahrsten Sinne in der Natur des Lebens an sich.
Insgesamt ist der nun 92-Jährige aber mit sich und seinem Tango zufrieden. Harald Fitz kennt die Wiener Tangoszene wie kein anderer. „Es unterrichten hier zu viele, die den Schülern nur Figuren mitgeben und nicht mehr“ , hält er kritisch fest und um ein abschließendes Statement gebeten meint er: „Tango ist Kommunikation und ein Lebensgefühl das über die Bereicherung meines Lebensabends hinausgeht. Nach jedem Schritt kann etwas anderes kommen und alles kann man auch spiegelverkehrt herum tanzen. Ich kann das Exakte und Gedrillte nicht mehr sehen.“ Wir sollten Harald Fitz zum Botschafter h. c. des Tangos in Wien ernennen.
Harald Fitz auf Facebook
Über Harry habe ich auch im Tangodanza geschrieben
Fotos: © Bernhard Siegl, © Mischa Nawrata. Zeichung: © Reinhard Trinkler
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