Tango lernen mit einem ganzheitlichen Zugang, bei dem sich Übungen und Ansätze aus Tanz, Schauspiel und Atemtechnik ergänzen. Wohlfühlen in der Umarmung ohne Grundschritt. Die Musik nicht kognitiv verstehen, sondern intuitiv in die Bewegung integrieren. Das ist das Konzept von Helmut Höllriegl.
Der Wiener Helmut Höllriegl ist klassischer Sänger und unterrichtet Tango an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien ( mdw ). Er singt in internationalen Musik- und Opernproduktionen und gestaltet eigene Projekte, wie zB. seine „Jedermann Monologe“, ein Liederabend in der Krypta der Wiener Peterskirche. Er ist nicht nur leidenschaftlicher Tanguero, sondern auch ein engagierter Tangoentwickler. Davon zeugen seine Projekte wie die Workshops „Die Magie des Gehens“ für Kinder und sein aktuelles „ project tango 3. 0 “ für Universitäten und Schulen. Die Idee davon ist, die im Tango entwickelten Fähigkeiten auf Alltags- und Berufs-Situationen zu übertragen und dort zu nutzen. So z.B.: im Umgang mit Nervosität, für das Entwickeln einer authentischen Präsenz oder die Fähigkeit “den Funken überspringen zu lassen”.
„Tango bedeutet nach innen zu spüren und sich dabei zu öffnen. Tango bedeutet sich nicht zu verstecken und die Persönlichkeit des Gegenüber zu konfrontieren. Dies erfordert Mut, Gefühl und Neugier, aber natürlich auch einen gewissen Grundstock an (Körper-) Technik,“ leitet Helmut Höllriegl das Gespräch ein, zu dem wir uns in einem alten Geschäftslokal in der Ungargasse, im dritten Wiener Bezirk, das jetzt als improvisierter Tanzraum für seine Práctica fungiert, getroffen haben. „Seit elf Jahren tanze ich Tango. Von Anfang an hat mich das Improvisationselement im Tango fasziniert. Als Musiker ist mir Improvisation immer schwer gefallen, beim Tango ging mir plötzlich der Knoten auf. Jetzt, viele Jahre später, sehe ich meinen Unterricht gerne als Anleitung zur Improvisation zu zweit.“
Begonnen hat alles in Straßburg. Dort verbrachte Helmut Höllriegl ein Austauschjahr als Student der Volkswirtschaft und hatte Anfangs noch keine Ahnung, dass sein weiteres Leben ihn zur Musik, zum Gesang und zum Tango bringen würde. „Dort gab es Tango am Universitären Sportinstitut und ich wurde süchtig danach vom ersten Moment an. Wie für viele hatte mich am Anfang der Tango Nuevo begeistert. Mein erster großer Meister – der mich noch heute prägt – war und ist Matias Facio aus Buenos Aires/Berlin. Er hat einen ganz geschmeidigen Stil, der stark mit einer Entkoppelung von Oberkörper und Hüfte arbeit. Ich habe natürlich auch Workshops bei zahlreichen anderen Gastlehrern in Wien oder Berlin besucht, aber am meisten geprägt danach hat mich das Tanzen in der Marathon-Szene. Wenn man bei so einem Wochenende jeden Tag 12 Stunden tanzt, merkt man ganz schnell, wo der Körper einem etwas sagen möchte in punkto Haltung oder verwendeter Spannung.“
Zum Unterrichten gekommen bist Du…
“…über Joachim Schloemer am Festspielhaus St. Pölten. Er hatte mir seinem „Tango Publik“ die Vision, dass die Leute nicht nur zum Kultur Konsumieren ins Festspielhaus kommen, sondern um auch Kreativität am eigenen Körper zu erfahren. Ich fand dies eine sehr schöne Überlegung und Tango gut dafür geeignet. Rückblickend bin ich natürlich überhaupt nicht mehr zufrieden mit der Art, wie ich damals unterrichtet habe. Meine Einstellung ist in etwa gewesen – ich zeige euch eine Sequenz und wie sie endet, da gibt’s zwei Varianten und wenn ihr eine dritte, vierte oder fünfte erfindet, ist es mir auch recht. Die Idee war eingelernte Figuren zu vermeiden, doch dabei habe ich die Leute häufig überfordert.”
In welcher Hinsicht unterscheidet sich Dein Unterrichtsstil jetzt?
“Ich unterrichte wie beim Unterricht in der Musik üblich Technik und Repertoire getrennt. Zuerst allgemeine Übungen (allein, im Paar, in der Gruppe) zu den drei Hauptthemen im Tango: Musik, Improvisation und Verbindung. Erst zur Hälfte der Einheit werden die geübten Elemente in eine Sequenz gegossen. Ausgangspunkt ist immer der Atem. Die Tangomusik (der época de oro) hat dieses Wellenartige, ein bisschen nach vorne drängend, ein bisschen zurückgehend. Wenn ich in meiner Bewegung eine Verknüpfung mit dem Atem hergestellt habe, entsteht eine natürliche Phrasierung ohne dass ich groß darüber nachdenken muss.”
Wie meinst Du das?
“ Eine Idee ist die Schritte als größeres Ganzes zu verstehen. Ein Schritt ist wie eine Silbe. Wenn wir miteinander sprechen, sprechen wir nicht in einzelnen Silben, sondern wir bilden Sätze. Wir können wohl Pausen machen, wir können Akzente setzen, aber wenn wir verstanden werden wollen, hilft es unvollständige Sätze, ständiges Neuanfangen oder Lückfüller zu vermeiden. Die entstehenden Sätze enden wir mit dem Atemholen in einer kleinen Verlangsamung oder sogar einem Innehalten. Das heißt egal wie viele Schritte ich hinterander reihe – ob 4, 5 oder 7; 12 zB kann ich mir schwer vorstellen, dass jemand auf einen Atem schafft –, der Atem ist das Struktur gebende Element. Das ist er übrigens auch in der Musik.”
Ein Schritt ist wie eine Silbe. Wenn wir miteinander sprechen, sprechen wir nicht in einzelnen Silben, sondern wir bilden Sätze.
Aber der Basico-Grundschritt gibt ja auch eine Phrasierung vor, die genau auf die Musik abgestimmt ist.
“Im Grunde genommen ja. Aber so ich wie ihn häufig getanzt sehe auf den Milongas, erinnert er mich mehr an ein Abspulen von auswendig gelernten Strukturen. Eine wichtige Dimension für mich ist Dynamik in der Bewegung durch eine Veränderung der Körperspannung. Mein Lieblingszitat dazu ist von René Jabcobs: „Die musikalische Phrase wird geboren, blüht auf und stirbt“. Er sagte das in Bezug auf die Musik der Wiener Klassik, aber es trifft auf die großen Orchester der 40er-Jahre im Tango genauso zu. Wenn ich diese Idee auf Bewegung übertrage bedeutet dies, dass bevor ich zum ersten Schritt ansetze, zuerst „sterben“ – also Spannung reduzieren – muss, um anschließend „wiedergeboren“ zu werden und aufblühen zu können. Es entsteht ein sich selbst erneuernder Kreislauf, der sich dadurch nie wiederholt.”
Da denk ich jetzt an in diese ewige Diskussion zum Thema Figuren erlernen und Choreografien tanzen vs. Gehen nach (argentinischem) Muster…
“Warum sind denn Figuren so beliebt? Zum einen ist es für die Kursleiter erheblicher einfacher eine Schrittkombination vorzuzeigen und zu korrigieren, als Technik zu bearbeiten. Zum anderen fühlen wir uns als Tanzende kurzfristig betrachtet schneller wohl und sicherer in uns bekannten Mustern. Sicherheit und Sich-Wohlfühlen sind menschliche Grundbedürfnisse nicht nur beim Tanzen. Ich bin jedoch überzeugt, dass wir diese Sicherheit woanders finden müssen. Dazu verwende ich Schauspiel-Impro-Übungen abgewandelt auf die Situation im Tango. Wenn wir uns erst einmal wohl fühlen, obwohl wir noch nicht wissen was der übernächste Schritt sein wird, haben wir gewonnen. Dabei spielt auch wieder der Atem ein große Rolle. Je nachdem wie tief und auf welche Art wir atmen, vermitteln wir dem Gegenüber ein Gefühl der Sicherheit bzw. von Gefahr im Verzug. Viele Follower sind sich kaum bewusst, dass sie z.B. durch das Anhalten des Atems beim Leader Stress auslösen und dieser dadurch animiert wird sich in rastlose Schrittkombinationen zu stürzen, um sich dadurch wieder Sicherheit zu verschaffen.”
Wann und wie kam der Tango, quasi als Methodik, für deine beruflichen Alltagsaufgaben ins Spiel?
“Es war eher umgekehrt, dass mit den Jahren immer mehr von meinem beruflichen Theater-Hintergrund in meine Pädagogik eingeflossen ist. Die Nützlichkeit der im Unterricht erlernten „Skills“ außerhalb des konkret tänzerischen Kontextes wurde vor zwei Jahren von einzelnen Teilnehmern bei einer Feedback-Runde positiv hervorgehoben. Da habe ich mir gedacht, ich nutze diese Aspekte bewusst und biete es so an Bildungseinrichtungen an. Ich finde es einen schönen Gedanken zu sagen, im Tango ist das Gehen das Fundament für alles Weitere. Und ebenso im Alltag, in jeder Situation, wo wir jemanden neuen kennenlernen, ist das Gehen, das erste, das der andere wahrnimmt. Wir gehen und kommen in einen Raum, da entsteht unsere Persönlichkeit, unsere Ausstrahlung, unser alles,…“
Dieses „sich trauen“ im Tango hat mich dazu geführt, dass ich mich mit mir selber ganz intensiv auseinandersetze. Ich habe das Gefühl, dass sich dadurch meine Sinne meiner Tanzpartnerin gegenüber schärfen .
Viele Follower sind sich kaum bewusst, dass sie z.B. durch das Anhalten des Atems beim Leader Stress auslösen
„…Absolut. Diese Auseinandersetzung mit uns selbst, macht Tango so schwierig. Das ist manchmal schmerzhaft. Du wirst mit deinen Stärken und Schwächen, vielleicht auch Abgründen konfrontiert. Andererseits empfinde ich die tänzerische Begegnung meist dann als bereichernd und erfüllend, wenn mein Gegenüber diese Konfrontation nicht scheut. Also lasst uns mutig sein! Da kommen auch wieder die Schauspiel-Impro-Übungen ins Spiel – dadurch üben wir bevor wir im Paar arbeiten die Konfrontation der persönlichen Energien in der Gruppe, aber auch wie wir unsere Energie so bündeln bzw. streuen können, dass wir unser Gegenüber nicht überfordern damit.”
Sind nicht gewisse Strukturen im Tango doch per Se festgelegt? Denken wir zB. an die Regel, viele verstehen das ja auch als unumstößliches Gesetz, von Führen und Folgen.
„Viele sagen aber auch, Tango ist eine Sprache. Tango ist ein Gespräch. Jedoch was ist denn das für ein Gespräch, wenn der eine einen Monolog hält und der andere nur sagen darf „Ja, denke ich auch“. Warum kann da nicht ein richtiger Dialog draus werden? Den Gedanken, dass eine gute Tänzerin primär nicht schlicht folgt, sondern vor allem tanzt, habe ich schon von mehreren Maestros gehört. Ich gehe noch einen Schritt weiter, mir schwebt Kommunikation wie unter Musikern vor, die gemeinsam Kammermusik spielen. Es gibt keinen Dirigenten, die Impulse ergeben sich aus der Wichtigkeit der Stimmen – wer hat gerade das Thema, die Überleitung etc. Aber auch mit Dirigent würde ein Musiker nie einfach nur warten, was an Impulsen vom Dirigenten kommt, sondern pro-aktiv „etwas anbieten“. Essentiell ist dabei, dass es sich dabei nicht um ein Vorwegnehmen handelt – der Dirigent könnte stets das Angebotene „overrulen“.
Wie unterrichtest du das konkret?
“ Z.B. durch vorbereitende Übungen, wo nicht klar definiert ist, wer führt, wer folgt. Wir lernen dabei mehr Klarheit in unsere Bewegung zu bringen und schärfen die Wahrnehmung für die Bewegungen unseres Partners. Die Grundvoraussetzung für diese Art der Impulsgebung ist das bewusste Beginnen der Bewegung vom Zentrum aus. Sobald das Bein draußen ist, ist die Sache schon entschieden, da kann ich höchstens einen Richtungswechsel daraus machen. Auch das Spiel mit unterschiedlichen Spannungs-Levels begünstigt diese Kommunikation, denn die spüre ich schon weit vor der Bewegung der Achse und kann darauf reagieren.”
Kontakt zu Helmut Höllriegl über Facebook.
Zweimal im Monat, Dienstags von 20:00 – 22:30, lädt Helmut Höllriegl zu
seiner freien Práctica „Next Generation“
im Mehrzweckraum der hmdw, Ungargasse 53, 1030 Wien.
Wie der Titel ‘Next Generation’ andeutet, ist die Kernzielgruppe dieses Events die jüngere Generation der Tango Tanzenden und an Tango Interessierten in Wien, was jedoch nicht heißt, dass es eine Altersgrenze für die Teilnahme gibt. Im Gegenteil – wir freuen uns explizit über einen generationsübergreifenden Austausch. Dennoch bitten wir zu respektieren, dass die studentische Atmosphäre ein wichtiger Charakterzug der Veranstaltung ist. Termininfo auf: www.tango-vienna.com und Facebook |
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