Die Musikfreunde Bisamberg hatten zu einem spannenden Tangoereignis aus Konzert und Milonga geladen, das von von der Inhaberin der Schokoladenmanufaktur „bitter süss“, Gesa Weitzenböck organisiert wurde. Am 19. Mai 2018, gastierte mit El Cachivache eine, in Buenos Aires derzeit ziemlich angesagte, Tangotruppe im Festsaal des Schlosses Bisamberg. Pablo Montanelli (Piano) und Vito Venturino (E-Gitarre) als Gründer, musikalische Leiter und Arrangeure, Adriano de Vita (Bandoneón), Pacha Mendes (Bass) und Nico Franco (Violine) waren als Tango Punk angekündigt. Die anschließende Milonga wurde zum einen von der Band live begleitet und zum anderen von Montanelli und Venturino als DJs bespielt.
Vito Venturino und Pablo Montanelli lernten sich in Bilbao, in Spanien kennen, als sie, unabhängig voneineander, auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen, während argentinischer Wirtschaftskrisenjahre, dorthin gezogen waren. Ihr erstes Aufeinandertreffen ereignete sich in einer Radiostation. Ein paar Stunden später waren sie eine Duo geworden, dass zunächst Rock-, Jazz und Blues spielte und als Backgroundmusiker von Bands der Clubszene engagiert wurden. Heute sprechen sie von einem magischen Treffen. Um rund um ihre musikalischen Ideen eine Gruppe zu gründen, kehrten sie nach Buenos Aires zurück. Wieder verbunden mit ihren Porteño-Wurzeln war es 2008 dann so weit. Das Quinteto El Cachivache wurde geboren. Rasch fielen sie in Europa und Asien durch ihren sehr ausgeprägten modernen Stil auf, der Tänzer und Liebhaber klassischer Tangoarrangements gleichermaßen begeistert. Seither überrollt das Quintett, mit hoher Produktivität, überbordender Vitalität, Temperament und unbestreitbar zeitgenössischem Sound, jede Bühne. Warum sich das Ganze Tango-Punk nennt und was es mit Punk zu tun hat, ist im günstigsten Fall ein Mysterium. Tatsächlich wirkt es mehr wie Marketingmachwerk irgendeines PR Agenten. Die Musiker wissen es und begegnen uns mit Humor und keinem bisschen Aggression. Kein Iro, keine Stachelfrisur, keine Nieten und noch nicht mal Piercings, bloß nette T-Shirts und Sneakers. Selbst „Cachivache“ als Synonym für „Trash“ im spanischen Slang, muss man sich auch erst mal zusammenreimen können. Auf der Bühne stehen dann – auf gut wienerisch: geschnäutzte, gekampelte und frisch geduschte – Profimusiker, die definitiv tanzbare Songs, in einer beeindruckend vitalen Tangotradition spielen. Möglicherweise sind ihre Interpretationen von höherer Authentizität , als so manches, noch so gut arrangierte Werk, zeitgenössischer Musiker, die sich uns als besseres Original verkaufen wollen. Nichts zerstört das Herz des Tangos, ja noch nicht einmal deformiert wird der Tango. Sie lieben die alten Werke und wenn nach der Pause, ein wunderbar lyrisches „Inspiracion“ von Rubinstein daherkommt, dann muss man wissen, das Original stammt aus 1918.
Mit „Comparsa criolla“ von Rafael Iriarte (1930) eröffnete das Quintett und schien tatsächlich, mit sich überschlagenden und verzerrter Melodik, (Tango) Punk auf die Bühne bringen zu wollen. Eine gewisse Irritation im Publikum war spürbar. Wollten sie uns provozieren, reizen und strapazieren? Beherrschen sie nur brachiales Tonleitern rauf und runter? Prüfen sie das Publikum und dessen Schmerzgrenzen? Der Spuk war mit „Buscandote“ von Osvaldo Fresedo schlagartig vorbei und nach und nach machte sich eine entspannte Stimmung im Publikum breit. Pablo Montanelli am Piano trieb, speziell bei seinen eigenen Kompositionen, mit manchmal sehr eigenwilliger Art das Instrument zu spielen, die Band vor sich her. Er zwang die E-Gitarre zu voller Unterstützung für das Bandoneón, welches mit größtmöglicher Energie (und Mühe) dagegen zu halten versuchte. Eine Konstellation, die hervorragend passte und wirkte. Dieses Zusammenspiel ist eine Ansage und Empfehlung an alle Modernisierungstheoretiker die eine Erneuerung des Tangos diskutieren. Vielleicht verstehen die Musiker genau dieses Element als Punk – kümmert euch nicht um die Erwartungen, habt Spaß, genießt den Moment und begeistert das Publikum. „El Ingeniero“ von Alejandro Junnissi (1930) darf als Beispiel herhalten. Der Stakkatorhythmus brachte geradezu körperlich spürbar die rechtwinkelige und starre Welt des Protagonisten in die Köpfe der Konzertbesucher.
Von 18 Stücken waren zehn Kompositionen von Montanelli oder Venturino. Die Unterschiede zu den Klassikern von Fresedo, Iriarte, Rubinstein, etc. sind gering gehalten. Vielleicht liegt es daran, dass diese Band seit Jahren ihre Brötchen in erster Linie auf Milongas in Buenos Aires verdient. „Blues de Wanda“ von Venturino brachte Jubel und Extraapplaus ein, welcher endgültig bewies, die haben ein Gespür dafür, was Tänzer mögen und brauchen. Spielfreude, guter Rhythmus, Abwechslungsreiche Schnelllangsam-Wechsel und viele Wendungen. Der zweite Teil des Abends war ruhiger angelegt, eher am Flow orientiert und ließ Vorfreude auf die Milonga aufkommen. Als Zugabe gab es mit „Paternal“ ein Stück von Pablo Montanellis Soloprojekt „Piano Piano“ – ein recht schräges Piano Solo, dass irgendwie nicht zum Abend passte und durch einen nahtlosen Übergang in das Stück „Bis“ gerade noch aufgefangen wurde. Insgesamt ein Konzert, dass am Ende begeistert beklatscht wurde und die Kategorie „fast wäre ich nicht hingegangen, aber jetzt, … schön, dass ich es doch erlebt habe“ nachhaltig bereichert.
Tango TV Beitrag über El Chachivache auf okto.tv
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